Wellness vs. Psychotherapie – zwei Konzepte mit dem gleichem Ziel? Eine Spurensuche.

Wellness vs. Psychotherapie – zwei Konzepte mit dem gleichem Ziel? Eine Spurensuche. Foto: fotolia/peshkova
Die Wellnessbewegung im angloamerikanischen Raum
Verfolgt man die Wellnessbewegung bis an ihre Wurzeln zurück, zeigt sich, dass das moderne Wellnesskonzept zur Gänze in den USA entwickelt worden ist. Die konzeptionelle Basis wurde dabei von dem US-amerikanischen Mediziner Halbert Dunn geschaffen, die bis heute Grundlage der modernen, gesundheitswissenschaftlichen Wellnessbewegung ist. Als weitere drei bedeutsame Protagonisten im angloamerikanischen Raum gelten Donald Ardell, Bill Hettler und John Travis. Ihr Verdienst ist es, die moderne Wellnessauffassung im US-Gesundheitssystem fest zu verankern. Infos zu den US-Protagonisten gibt es beim National Wellness Institute.
Halbert Dunn führte erstmals im Jahr 1959 in seinem Artikel „High-Level Wellness for Man and Society“ im American Journal of Public Health den Begriff der „positiven Gesundheit“ („positive health“) ein und legte damit den Grundstein für die gesundheitswissenschaftliche Wellnessbewegung. Inspiriert war er einerseits durch die Gesundheitsdefinition der WHO (1947), aber auch durch die damalige Kostenexplosion des amerikanischen „Gesundheitssystems“, insbesondere infolge einer stetigen Zunahme von chronischen Erkrankungen sowie Störungen im psychischen Bereich. Diese Entwicklungen führte er auf die vorherrschende pathogenetische Fixierung zurück. Mit seinem Programm einer „new health axis“ wollte er klassische Gesundheitskonzepte sinnvoll ergänzen.
Essentiell für Dunn´s Entwurf ist das zugrundeliegende ganzheitliche Menschenbild, das in seinem „High-Level Wellness Symbol“ zum Ausdruck gebracht wird. Der Mensch mit seinen interdependenten Elementen des Körpers, des Geistes und der Seele steht im Zentrum seiner Überlegungen. Dunn versteht Wellness letztendlich als individuellen Lernprozess. Als Ziel dieses Lernprozesses definiert er die Selbsterkenntnis. Damit spricht Dunn bereits sämtliche Kernmerkmale des modernen Wellnesskonzepts an, die in der Folge von Travis, Ardell und Hettler schwerpunktmäßig unterschiedlich weiter ausgebaut worden sind.
Die Wellnessbewegung im europäischen Raum
Mit der Gründung der European Spas Association und dem Deutschen Wellnessverband (DWV) findet die moderne Wellnessbewegung auch in Europa eine solide institutionelle Basis. Primäres Ziel beider Einrichtungen ist es, das moderne Wellnesskonzept als wissenschaftlich fundiertes Gesundheitsförderungsprogramm zu propagieren und damit unseriösen Angeboten und dem Missbrauch des Begriffs Wellness für kommerzielle Interessen ein Ende zu setzen. Federführend ist hier Lutz Hertel.
Auf konzeptioneller Ebene werden die Grundlagen zur Gänze aus dem amerikanischen Raum übernommen. Dementsprechend ist das Satzungsziel beider Institutionen der Aufbau eines aktiven, bewussten Lebensstils, mit dem ein ganzheitliches, individuelles Wohlbefinden dauerhaft angestrebt werden soll. Wie auch im amerikanischen Raum geht es um die Ausarbeitung einer umfassenden Strategie für Gesundheit und Lebensqualität, mit dem Ziel der körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Wohlbefindenssteigerung. Die Aussicht auf Genuss und anhaltende Lebensfreude ist somit die treibende Kraft, eine gesunde Lebensweise anzustreben und wird deshalb zu einem zentralen Thema in der Wellnesspraxis und -forschung erhoben.
Wellness als Lebensstil-Konzept, das Genuss und Gesundheit miteinander in Verbindung setzt
Als Lebensstil-Konzept, das Genuss und Gesundheit miteinander in Verbindung setzt, bietet Wellness den idealen Rahmen zur Umsetzung proaktiver psychischer Gesundheitsförderungsprogramme. Wendet man sich der originären Bedeutung des Wortes Psychotherapie zu, ist nicht nur die Kuration und Vermeidung von Krankheit, sondern auch die positive Förderung von Gesundheit Ziel der Psychotherapie.
Primordiale Psychotherapie
Der Mainstream der Psychotherapieforschung fokussiert Krankheiten (Symptome), deren Beseitigung sowie allenfalls deren Prävention. Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung ist per Gesetz (§1. (1) Psychotherapiegesetz, 7. Juni 1990) vorgegeben und beinhaltet „(…) die umfassende, bewusste und geplante Behandlung von psychosozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen (…) mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern (…)“
Dieser einseitige Fokus auf die „Krankenbehandlung“ ist darauf zurückzuführen, dass Krankenkassen nur für bereits erkrankte Versicherte Finanzmittel zur Verfügung stellen. Krankenkassen werden erst tätig, wenn objektive Kriterien einer psychischen Krankheit vorliegen. Weder Prävention, noch Gesundheitsförderung werden von den Krankenkassen unterstützt. Dadurch sind psychotherapeutische Maßnahmen primär pathogenetisch ausgerichtet. Die positiven Anteile und Fähigkeiten von Patienten werden in traditionellen psychotherapeutischen Ansätzen, sowie in der gesetzlichen Verankerung gewöhnlich übersehen bzw. als vernachlässigbar betrachtet.
Zurück zu den Wurzeln: Die originäre Bedeutung des Begriffs „Psychotherapie“
Wendet man sich der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs Psychotherapie zu, so kann man erkennen, dass diese durchwegs positiv konnotiert ist. Das Wort Psychotherapie stammt ursprünglich aus dem Altgriechischen und bedeutet:
das Leben, die Seele, den Verstand, das Gemüt sorgfältig ausbilden.
Dieser originären Definition zufolge ist nicht nur die Vermeidung von Krankheit, sondern auch die positive Förderung von Gesundheit Ziel der Psychotherapie. Es geht um Selbstverwirklichung bzw. um die Ausbildung von Potenzialen zur Erreichung einer maximalen Lebensqualität. Im Sinne der Gesundheitsförderung ist auch der letzte Beisatz des oben zitierten Paragraphen (§1.(1)) des Psychotherapiegesetzes (1990) zu verstehen. Demnach ist es ebenso Aufgabe der Psychotherapie,
(…) die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelten zu fördern.
Sofern Psychotherapie nicht nur als ein Heilungs-, sondern auch als Gesundungsprozess verstanden wird, müssen sich neben Vermeidungs- dringend auch positive Therapieziele im Sinne von Annäherungszielen etablieren. Dabei müssen all die Aspekte in den Blick genommen werden, die den Zustand psychischer Gesundheit konstituieren.
Welche Eigenschaften und Attribute kennzeichnen psychisch gesunde Menschen? Was ist psychische Gesundheit? Es ist erstaunlich, wie wenig erforscht und differenziert der Begriff „Gesundheit“ in der psychotherapeutischen Literatur bisher ist. Vergleicht man die differenzierten Leitlinien der Diagnostik von psychischen Krankheiten mit jenen von positiven Erlebens- und Verhaltensweisen, ist ein großer Forschungsbedarf zu konstatieren.
3 große Kernbereiche des Wohlbefindens
Hinsichtlich einer Psychotherapie des Positiven sind insbesondere drei große Kernbereiche des Wohlbefindens von Bedeutung:
- Das „hedonistische Wohlbefinden“, das in der Literatur auch als „subjektives Wohlbefinden“ bezeichnet wird.
- Das „eudaimonische Wohlbefinden“, auch bekannt unter den Bezeichnungen „psychologisches Wohlbefinden“ und „seelische Gesundheit“. Beide Kernbereiche beeinflussen gleichermaßen die „individuelle Lebensqualität“.
- Als dritte zentrale Komponente des Konstrukts der psychischen Gesundheit ist das „soziale Wohlbefinden“ zu nennen, das gemeinsam mit den beiden anderen Wohlbefindensdimensionen das Konstrukt der „seelischen Gesundheit“ im Sinne von „flourishing“ am umfassendsten darstellt.
Der zweite Gesundheitsmarkt
Eine stärkere gesundheitspolitische Verankerung im Bereich der Psychotherapie ist nur im Rahmen einer umfassend modifizierten Gesellschafts- und Sozialpolitik durchsetzbar. Letztendlich kann die Rolle der proaktiven Gesundheitsförderung in der Psychotherapie nur dann gestärkt werden, wenn die Finanzierung nicht überwiegend bei den Krankenversicherungen hängen bleibt.
Ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein auf gesellschaftlicher Ebene schafft Chancen für den sogenannten „zweiten Gesundheitsmarkt“, der sich über privat finanzierte Gesundheitsprodukte und –dienstleistungen definiert. Insbesondere bei den höher gebildeten Bevölkerungsschichten ist die Bereitschaft zur Übernahme gesundheitlicher Eigenverantwortung stark ausgeprägt.
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